10. OBERWALLISER KULTURPREIS AN DR. ALOIS GRICHTING

Überreicht am 28.Oktober 2006 im Rittersaal des Stockalperschlosses zu Brig-Glis / VS

 

LAUDATIO  von Dr. Donat Jäger, Visp

Sehr verehrter Kulturpreisträger,
geschätzte Damen und Herren,

jedes Ding hat seinen Preis. Selbst die Kultur hat ihren Preis, auch von der pekuniären Seite her gesehen. Kulturräte und Kulturkommissionen geben sich alle Mühe den Politikern beizubringen, dass jeder in die Kultur investierte Franken dreifach zurückkomme. Diese Argumentation mag uns, die wir hier zu einer Kulturfeierstunde besonderer Art zusammen gekommen sind, mit Recht zweitrangig erscheinen. Trotzdem tun Kulturverantwortliche wie Kulturschaffende und –liebende gut daran, den politischen Wächtern über Kulturbudgetposten der Not gehorchend Referenz zu erweisen, denn pecunia non olet, zumindest nicht immer. Auch für die Kultur ist jeder Franken willkommen. Doch heute soll nicht von diesem Preis der Kultur, nicht von Rappen und Franken die Rede sein. Die Kultur hat noch einen andern, nicht nur finanziellen Preis. Lob und Preis wird ihr zum Glück gelegentlich zu teil und dankbar hiefür, schenkt sie uns immer wieder Stunden schöner Erfahrungen und Erlebnisse, die unser Leben lebenswerter und interessanter machen, überdies bringt sie von Zeit zu Zeit gar Kulturpreisträger hervor.

Uns alle freut es, dass wir in dieser kulturhistorischen Stunde, in diesem geschichtsträchtigen Saale dabei sein können, um unsern Kulturpreisträger, um den Kulturpreisträger des Rottenbundes Dr. Alois Grichting zu feiern. Dass ich Worte des Lobes und der Anerkennung für den Kulturpreisträger sprechen darf, ehrt mich. Ihrer gütigen Nachsicht sei mein Vorhaben empfohlen, wenn ich nicht Erhofftes leiste. Wenn es bei Rückert in der Weisheit des Brahmanen heisst: «Mit einem Teil des Lobs sollst du den Freund nur schmücken - ins Antlitz, einen Teil sag hinter seinem Rücken», so werde ich heute das Zweite nicht tun. Es ist auch nicht nötig, zu bekannt ist unser Preisträger, zu offenkundig sein Tun und Schaffen über Jahrzehnte, zu grossartig sein Einsatz und sein Wirken für Kultur, für kulturelle Werte unserer Walliser Heimat, für unser historisch und ideologisch verpflichtendes Erbe. Dass ich jedoch das Arztgeheimnis nicht verletzte, sei Dir, lieber Alois, und Euch, verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, gewiss. Ich habe sonst genug zu berichten. Aber auch dies kann, der zeitlichen Not gehorchend und nicht dem eignen Triebe, nur fragmentarisch sein. Unsere in Minuten gepresste Zeit erlaubt leider nichts anderes. Trotzdem wäre es reizvoll, aus unseren gemeinsamen Erlebnissen über eine Wegstrecke von mehr als einem halben Jahrhundert mit x-tausend zurückgelegten Höhenmetern, aus Reminiszenzen unserer philosophischen Sternstunden mit Überlegungen und Diskussionen über den Beginn der Zeit, den Beginn des Lebens und der Zeit danach, ein Bild des Gefeierten zu zeichnen, das viele von euch in Staunen versetzen würde. Ich könnte beschreiben, wie sich Alois auf ausgesetzten Firngratschneiden ebenso sicher und schwindelfrei bewegte, wie beim Lösen einer mathematischen Gleichung im Schulzimmer, dies wohl auch schwindelfrei. Berichten könnte ich, wie Alois, auf Berggipfeln angekommen, in Ehrfurcht vor der Schöpfung und der grandiosen Bergwelt Emotionen zeigte, staunend über ihre Harmonie, Kraft und Urgewalt, ergriffen wie in einem Bach- oder Mozartkonzert.

Ich könnte erzählen, wie wir, seine Seilgefährten, laienhaft nickend bei einer Gipfelrast zuhörten, was die kosmologische Wissenschaft neu erforscht hat, wie wenig das eigentlich sei, 6 Prozent erst der Materie sind definiert, oder was es mit der Oort’schen Wolke oder einer Supernova an sich habe. Ich könnte davon reden, wie er vor der Berghütte, mit dem Eifer und der Geduld eines tüchtigen Lehrers, versuchte, uns am Abendfirmament die Konfiguration der Sterne, die Planeten und ihre Bahnen näher zu bringen. Doch das alles, diese wunderbare Seite des Gefeierten, die uns seinen Freunden und Seilgefährten und wahrscheinlich auch unzähligen Studenten zugute kam, das genügt natürlich nicht, um Kulturpreisträger des Rottenbundes zu werden. Es mag nur kurz eine andere Seite des Preisträgers gezeigt haben, eine Seite, die die Öffentlichkeit von Alois Grichting vielleicht nicht oder kaum kennt.
Verehrte Anwesende, das Lebenswerk, das Wirken und Schaffen unseres Preisträgers ist gewaltig. Was er nebenberuflich alles geleistet hat, sprengt fast Grenzen des menschlich Machbaren. Es reiht aber Alois Grichting würdig und ohne Zweifel hoch verdient in die hehre Galerie seiner Vorgänger als Kulturpreisträger.

Geboren wurde Alois Grichting am 25.5.1933 in Agarn als Sohn des Emil und der Agnes geborene Hagnauer aus Turtmann. Auf die Gene unseres Preisträgers aus Turtmann darf ich stolz sein, waren doch meine Grossmutter und sein Grossvater Geschwister. Als Ältester von 11 Kindern galt es Vorbild zu sein und wohl auch bald als Sommerhirt in Turtmann oder Hotelbursche in Zermatt ein paar Franken zu verdienen. Viele Kulturpreisträger oder andere bekannte Walliser Persönlichkeiten begannen ihre Karriere als Geisshirt.
In der fruchtbaren Talebene von Turtmann, Agarn und Umgebung gab es mehr Kühe als Geissen. So gesehen ist der Start der Karriere unseres Gefeierten als Kuhhirt doch schon etwas höher einzustufen als der Start jener Kulturpreisträger, die sich nur mit Schmalveh abgeben mussten. Alois hatte es mit vier Füssen oder vier Strichen zu tun, so benamste oder tesselte man damals ein Kuhrecht.
Sollte es unter den Zuhörern jemand geben, der nicht genau weiss, was Schmalveh oder eine Tessel bedeutet, der findet die Beschreibung im hervorragenden Werk unseres Preisträgers «Wallissertitschi Weerter».
Dass die Karriere unseres Preisträgers nun hier im noblen Stockalperschloss ihren Höhepunkt erfahren darf, macht die Geschichte vom armen Bauernbub, der auszog, um sein Glück zu suchen und seinen Schatz zu finden, fast wie im Märchen, wahr.
Die Verleihung des Preises in diesem ehrwürdigen Schloss und Rittersaal erfüllt mich als Turtmänner und Alois als mutterseitigen mit Stolz, waren die Turtmänner doch Freunde Stockalpers, während die Leuker ihm nicht wohl gesinnt waren. Wie in der ausführlichen und interessanten Chronik «Agarn Einst und Heute» verfasst von Alois Grichting, nachzulesen ist, ging die Leuca fortis mit den Agarnern nicht gerade grossherzig um. Erst 1892 fand man sie als mündig, einen eigenen, nur aus Agarnern bestehenden Gemeinderat zu bilden. Auch das abgetretene Territorium hätte als Erbe für die junge Tochtergemeinde durchaus etwas weitflächiger ausfallen dürfen.
Das obgenannte Buch erschien zum hundertjährigen Jubiläum des ersten selbständigen Agarner Gemeinderates, ein Ereignis, das in der Geschichte Agarns wohl viel bedeutet. Für Interessierte sei auf besagtes Werk über die Heimatgemeinde unseres Preisträgers verwiesen.

Vater Emil Grichting war ein tüchtiger Arbeiterbauer. 44 Jahre lang arbeitete er in der Aluminiumfabrik in Chippis, zuerst als Schichtarbeiter, dann die letzten 20 Jahre, erfahren und mit der Technik vertraut, als Instruktor, so zusagen als Lehrbeauftragter der Firma für Lehrlinge und noch unerfahrene Arbeiter. Die Lehrer-Ader unseres Preisträgers mag in diesen väterlichen Genen ihren Ursprung haben.
Mutter Agnes hatte als Hausfrau und Mutter von 11 Kindern einen Volljob würde man heute sagen. Von einem burn-out Syndrom wusste die damalige Generation und auch die Medizin noch nichts. Ohne Zweifel nahm dieses Syndrom proportional mit der Anzahl Psychiater und Psychologen in den letzten Jahren zu.
Agnes und Emil, ihnen beiden möchte man es gönnen, heute nochmals aus der Ewigkeit her Zeit zu erfahren, Stunden nur, während denen ihr Sohn Alois Ehre, Dank und Anerkennung erfährt. Dies nicht zuletzt dem Elternhaus wegen, das ihn geprägt hat, das ihn früh lehrte zu arbeiten und zu erfahren, dass es ohne Arbeit, ohne Fleiss keinen Preis gibt, geschweige denn einen Kulturpreis.
Alois bekam aber von zu Hause nicht nur den Sinn für Arbeit mit, sondern auch ein paar väterliche Gene, die seine Liebe zur Musik und zur Kunst beeinflussten. Vater Emil war ein begabter Musikant. Er spielte verschiedene Instrumente und nicht jeder wurde damals Militärtambour. Bereits Grossvater Josef-Marie wie auch Vater Emil und insbesondere Onkel Anton waren begabte Ofenbauer. Viele Giltsteinöfen im Oberwallis, künstlerisch verziert mit Wappen, Insignien und Jahrzahlen, sind Zeugen dieser Ofenbauer-Dynastie.
Wenn Goethe, der Lieblingsschriftsteller und -dichter des Gefeierten, die Lust zum Fabulieren vom Mütterchen hatte, so dürfte auch für Alois sein Schreibtalent und seine Schreibfreude von Mutter Agnes stammen.

Ein intelligenter und fleissiger Schüler war Alois ohne Zweifel. Seinen beiden damaligen Lehrern Johann Kalbermatter und Albert Matter, beide der Bildungspolitik mehr als ein halbes Jahrhundert voraus, hatten sie doch vor dem Lehrerseminar bereits die Matura gemacht, ihnen, wie Dorf-Pfarrer Xaver Noti sei Dank gesagt, dass sie den jungen, talentierten Schüler ins Kollegium schickten.Nicht nur Pfarrer Noti, viele damalige Dorfpfarrherren animierten und unterstützten diesen oder jenen Jungen zum Eintritt ins Kollegium. Der Hintergedanke, ihn später für den Eintritt ins Priesterseminar zu gewinnen, mag der Motivation für ihr rühmliches Tun zu Gevatter gestanden haben. So mag es auch bei Alois gewesen sein.

Dass er durchaus auch eine theologisch-philosophische Laufbahn hätte einschlagen können, beweist wohl seine fast 20- jährige Mitarbeit für kirchliche Belange als Informationsbeauftragter für das Bistum. Von dieser Tätigkeit wird später noch die Rede sein. Doch die zölibatäre Frage war wohl für Alois wie für viele andere Studenten des Pudels Kern für die Entscheidung: Priesterseminar-Eintritt ja oder eher nein. Wenn uns Rektor Werlen in religiös-sittlichem Übereifer, in ängstlicher Sorge um das Seelenheil seiner Zöglinge auch, überzeugen wollte, dass die Mädchen der verlängerte Arm des Teufels seien, so nahmen wir das nicht allzu ernst, hatten wir, in der pubertären Phase der Entwicklung stehend, doch eher das Gefühl, die Mädchen seien der verlängerte Arm der Engel. Die Aussage des Rektors konnte nur eine ironisch gemeinte Falscheinstufung unserer holden vis-à-vis Institutstöchter in die Chronologie der Engelsgeschichte gewesen sein.

Es war aber wohl nicht die Frauen- oder Mädchenfrage, die Alois im damals noch maskulinen Kollegium beschäftigte. Fasziniert haben ihn Griechen und Römer, ihre Sprache, ihre Kultur, Geschichte und Philosophie. Fasziniert hat ihn, und das bis heute, die klassisch-humanistische, gymnasiale Ausbildung mit ihrem Ziel, Studenten so zur Reife zu bringen, dass sie imstande sind für sich selbst zu lernen, wie es Wilhelm von Humbolt formulierte. Als ob er bereits eine Ader für den Lehrerberuf in sich verspürte, war er schon damals verkrusteten didaktischen Strukturen und erstarten Unterrichtsformen der Wissensvermittlung abhold und kritisch gegen sie eingestellt. Unter dem Pseudonym «Pyracmon» zu deutsch Feuerteufel, liess er sich gar zu diesem Thema in eine Schreibschlacht in den Oberwalliser Zeitungen mit emeritierten, bereits etwas ergrauten Professoren ein. Der Fall Pyracmon wurde gar zu einem Thema für die Professorenkonferenz und den Rektor. Dank seinen Schulkameraden, die alle und mit Vehemenz hinter ihm standen, nahm diese Schreibschlacht für Alois ein versöhnliches Ende und er durfte weiterhin im Kollegium bleiben.

Verehrte Anwesende,
nach glänzend bestandener Matura Typus A mit Griechisch und Latein, zog es den jungen Studenten an die ETH nach Zürich. Er machte sich die Berufswahl eigentlich leicht. Ich erinnere mich, wie er mir sein Maturazeugnis zeigte und sagte:«  Der Fall ist klar, ich muss Mathematik studieren, hier habe ich offenbar noch eine Lücke. » Es war tatsächlich die einzige Note in Mathematik, die nicht ganz mit einer Sechs glänzte. Doch dieser winzige Makel im Maturazeugnis mag es nicht gewesen sein, der ihn den akademischen Weg nach Zürich an die ETH zum Studium der Elektrowissenschaften und der Mathematik einschlagen liess. Seine Liebe zur Mathematik als exakte Wissenschaft, die Faszination der Physik, den Funktionen und Gesetzen der Materie auf den Grund zu gehen oder wenigstens näher zu kommen und seine ersten Kontakte mit der Technik und ihren Möglichkeiten als Werkstudent in der Alusuisse Chippis und der Fonderie d‘Ardon mögen dazu beigetragen haben, dass er 1956 das Studium der Elektrotechnik an der ETH Zürich begann und 1960 erfolgreich mit dem Diplom abschloss. In seiner Diplomarbeit befasste er sich mit der experimentellen Grundlagenforschung über die Blitzentstehung, -messung und den Blitzschutz. Es verwundert nicht, dass Alois von seiner Diplomarbeit zumindest die Angst und der Respekt vor Blitzen im Gebirge geblieben ist. Mit Blick auf eine mögliche Lehrerlaufbahn absolvierte er während seiner Assistentenzeit an der ETH auch das Studium der Elementarmathematik.
Ohne Zweifel hätte unser Kulturpreisträger nach seinem glänzenden Studiumsabschluss als Elektroingenieur und seiner Assistentenzeit am Institut für elektrische Anlagen und Energiewirtschaft der ETH unter Professor Heinrich A. Leuthold in der damals florierenden Elektrowirtschaft eine steile berufliche Karriere machen können. Zum Glück für uns und unser Oberwallis, zum Glück für eine Generation Kollegiumsschüler, stellte er seine beruflichen Weichen anders. Er wurde Lehrer für Mathematik, Physik und Informatik am Kollegium Brig. Seine Unterrichtstätigkeit am Abendtechnikum Juventus in Zürich mag ihn für diesen Entschluss ebenso beeinflusst haben, wie die Überzeugungskraft und Überredekunst des damaligen Rektors Dr. Albert Carlen, zurück zu den Wurzeln zu finden. Mathematik- und Physiklehrer waren damals ebenso gefragt, wie neuerdings wieder. Allein das hätte Alois nicht genügt, hätte er in sich nicht seine ausgesprochene Fähigkeit zum Dozieren, zum Erklären und zur Wissensvermittlung verspürt, verbunden auch mit seiner Kontraktfreudigkeit zu Menschen vor allem zu jungen Menschen. Retrospektiv gesehen war diese berufliche Weichenstellung zum Kollegiumslehrer richtig.

Alois war es im Klassenzimmer beim Unterricht sicher wohler, als in einem sterilen Büro einer elektrowirtschaftlichen Unternehmung und wäre es gar, was anzunehmen ist, auf irgend einem Chefsessel gewesen. Alois war und blieb Lehrer aus Überzeugung und Begeisterung mit hoher fachlicher und sozialer Kompetenz. Dass er kein pädagogisch-psychologisches Diplom besass, störte ihn und offenbar auch seine Vorgesetzten nicht. Er fühlte sich von Natur aus zum Lehrerberuf prädestiniert und berufen. Bei seinen Studenten war er beliebt. Er versuchte ihnen stets zu helfen, forderte aber von ihnen auch Fleiss und Einsatz mit der nötigen Strenge. Es sei der Strenge zuviel, meinte einmal eine Klasse. Sie richtete gar eine administrative Beschwerde an den Rektor und den Staatsrat mit der Klage wegen Überforderung. Die Behörden teilten aber diese Meinung nicht und schützten das Programm und den Lehrer. Mit Mathematik und Physik, von Informatik kann ich nicht sprechen, hatten auch zu unserer Zeit die meisten Studenten Mühe. Für verständnisvolle Lehrer waren wir dankbar, besonders wer mit mathematischen Fähigkeiten und der Vorstellungskraft physikalischer Gesetze und Experimente nicht über die Massen gesegnet war.


Verehrte Anwesende,
1964, das Kollegium hatte eben erst sein 300-jähriges Bestehen gefeiert, war die Kollegiumswelt wohl noch in alter Ordnung. Der Tages- und Wochenablauf war, wie bereits 300 Jahre lang zuvor, gegeben. Der Autorität der Professoren, in der Mehrzahl weise, erfahrene, geistliche Herren, ihrem erhabenen Status wurde als Student in der nötigen Distanz Respekt und Hochachtung gezollt und entgegen gebracht. Der Umbruch kam, symbolisch gesehen als man mit dem Neubau des Kollegiums extra muros ging. Die 1968er brachten Bewegungen in die Szene und waren wohl selber Szene. Jahrhundert alte Strukturen und pädagogische Formen wurden kritisiert und wach gerüttelt. Traditionelle Werteskalen wurden kritisch hinterfragt und anders oder neu definiert. Schülerräte traten in Erscheinung. Das Allgemeine, das Uniforme, wich dem Individuellen. Die Studentenmütze, die wir noch mit Stolz getragen, wurde als Statusymbol geopfert. Die Internatsordnung erfuhr Remedur. Vieles geschah wohl zum Nutzen und Vorteil einer neuen, dynamischen Generation von Schülern und Lehrern, denn non scolae sed vitae discimus, nicht für die Schule sondern für das Leben lernen wir.
Einiges war aber im Sturm und Drang der pädagogischen und gesellschaftlichen Revolution wohl auch nicht vom Besten. Ich denke an den Slogan von der antiautoritären Erziehung oder an das Minimalisten-Denken, eine Prüfung oder eine Klasse mit der tiefst möglichsten Note zu bestehen und dafür gar noch einen Klassenpreis einzuheimsen.
Ich könnte mir vorstellen, dass unser heutiger Kulturpreisträger und damaliger Mathematik- und Physikprofesser über diese Zeit des Umbruchs einige Anekdoten erzählen könnte. Vielleicht auch, wie sich 1966 die erste Frau Brigitte ihren Eintritt ins Kollegium erkämpfte. Ihrem schriftlichen Gesuch an Rektor Carlen, vom Institut St. Ursula ins Kollegium wechseln zu können, um die Matura zu machen, wurde vorerst nicht entsprochen. Der Bischof sei dagegen, hiess es in der ersten Antwort, und über die Aufnahme von Frauen ins Kollegium habe man noch nicht nachgedacht. Die Verantwortlichen haben sich dann aber doch entsprechende Überlegungen gemacht und l4 Tage vor Schulbeginn bekam Brigitte zu ihrer Überraschung eine positive Antwort. Unter siebenhundert Studenten war sie damals im Schuljahr l966/67 die erste und einzige Frau. Dass sie die Matura glänzend bestand, sei ihr zu Ehren respektvoll und mit Freude gesagt. Wie vielen andern Pionierfrauen müsste ihr, der Brigitte mit Turtmännerblut, irgendwo im Kollegiumshof ein Denkmal errichtet werden.
Professor Alois Grichting würde dabei die Lobrede halten, denn als damaliger, junger Lehrer am Kollegium hat er die Veränderungen unter Rektor Carlen und seinen Nachfolgern nicht nur miterlebt, sondern die Reformen mit gleichgesinnten jungen Lehrern mitgeprägt und mitgetragen.
Reformen gab es aber auch im Unterrichtswesen. Zusammen mit einem Kollegen, der auch an der ETH studiert hatte, entwarf er ein Lernprogramm für alle Klassen des damaligen klassischen Gymnasiums. Dieses Programm forderte von den Schülern mehr, stellte aber den Mathematikunterricht auf ein bedeutend höheres und auch erfolgreicheres Niveau als es bisher am Gymnasium Brig üblich war. Vor der methodisch didaktischen Entwicklung des Unterrichts scheute sich Professor Grichting in seinen 33 Jahren Tätigkeit am Kollegium nie, im Gegenteil er gestaltete und prägte sie mit.
Alois Grichting führte im Kollegium Brig auch erstmals Informatik ein. In diesem Fach lehrte man die Schüler, an den damals kleinen Geräten in Maschinensprache Algorhythmen zu programmieren. Zusammen mit zwei Kollegen veröffentlichte Alois auch im Walliser Bote eine Artikelserie über die Grundlagen der Informatik. Diese verständlich geschriebene, populäre Reihe wurde dann in einem Buch des Rottenverlages herausgegeben. Für Schülerinnen und Schüler, die sich besonders für Mathematik interessierten, gab Alois Grichting Kurse in Darstellender Geometrie und höherer Mathematik. Kurse in der damals modernen und klassischen Schulmathematik erteilte Alois Grichting auch jeweils an der vom Erziehungsdepartement organisierten Sommer-Fortbildungswoche der Primar-, Real- und Sekundarlehrer. Stetige Weiterbildung in Angeboten des Fachverbandes Mathematik gestatteten ihm den Einstieg in die aufkommenden neuen Fachgebiete.
Der Staatsrat berief Alois Grichting auch in die Kantonale Kommission für Mathematik und Einführung der Informatik. Während vieler Jahre war er zudem auf Grund seiner Fachkompetenz und guten Kenntnisse der Französischen Sprache Maturaexperte für Mathematik in den Unterwalliser Gymnasien Sitten und St. Maurice.
Professor Grichting bemühte sich stets, seinen Schülern nicht nur allein mathematisches Denken und Wissen zu vermitteln, sondern ihnen die Mathematik als grosse kulturelle Leistung der Menschheit näher zu bringen. Wichtig für ihn war in dieser Perspektive auch die Pflege der Geschichte der Mathematik. Er liess durch die Schüler sehr viele mathematikhistorische Arbeiten ausführen. Solche Arbeiten, die in neuerer Zeit als Maturaarbeiten gängige Praxis am Kollegium geworden sind, gaben manchem Schüler, der in Mathematik Mühe hatte, Gelegenheit seine Note etwas aufzubessern.

Verehrte Anwesende,
Selber beweglich zu sein, sich mit dem wirtschaftlichen Aufschwung zu beschäftigen und seine wissenschaftlichen Grundlagen und Mechanismen zu studieren, war auch für unsern Kulturpreisträger ein Bedürfnis.
Berufsbegleitend studierte er zwischen 1965 und 1976 an der Universität Freiburg Nationalökonomie mit der Promotion zum Dr. rer.pol. am 25.06.1976. Seine Dissertation «Die Skalenerträge, theoretische und empirische Aspekte» fand grosse Beachtung und wurde als Beitrag zur Wissenschaftlichen Forschung im Band 103 Meisenheim/Glan Deutschland 1976 publiziert.
Erwarten sie, verehrte Zuhörer, jetzt von mir nicht, dass ich mich hier mit dieser Dissertation auseinander setze. Es wäre meinen wirtschafts-wissenschaftlichen Kenntnissen und Vorstellungen Hohn geredet und auch aus medizinischen Gründen kontraindiziert, die Aufnahmefähigkeit ihrer grauen Hirnsubstanz noch über Gebühr zu strapazieren. Alle Achtung aber, und da bin ich mir ihrer Zustimmung gewiss, unserm Doktor der Nationalökonomie, der trotz seiner beruflichen Belastung und seinem Einsatz im Kollegium und andern Beschäftigungen, von denen noch die Rede sein wird, diese Leistung erbrachte. Wenn er, aus was für Gründen auch immer, nicht in Führungspositionen des Kollegiums gewählt wurde, setzte er sich nach aussen in journalistischer wie gar demonstrativer Weise stets für sein Kollegium und seine Schüler ein. Ich denke als Beispiel an jene Zeit zurück, da es an unserm Familientisch fast zu einer echten Krise kam: Als damaliger Gemeinderat von Visp versuchte ich meinen Kindern darzulegen, dass der Staat uns ersuchte, die Möglichkeit zu prüfen, eventuell ein paar Klassen des Kollegiums in Visp unterzubringen. Das Kollegium Brig platzte damals raum- und infrastrukturmässig fast aus allen Nähten. Doch der seinerzeitige Aufruhr der Briger ist bekannt. Allen voran war es Professor Alois Grichting, der mit seinen Schülern Demonstrationen organisierte und seine spitze Feder in der Presse walten liess. Gegen Professor Grichting hatte ich bei unsern Diskussionen am Familientisch nicht den Hauch einer Chance. Diese Zeit der Auseinandersetzung zwischen Brig und Visp ist ihnen allen wahrscheinlich noch in bester Erinnerung. Sie wird leider bis heute auch in andern Bereichen immer wieder geschürt. Es würde ein Buch füllen, über seine 33 Jahre als Kollegiumslehrer noch eingehender berichten zu wollen. Nicht fehlen würde dabei auch mindestens ein Kapitel über staatliche Bildungspolitik, über seine nicht immer mit den Erziehungsdirektoren konformen Ideen und Meinungen zur gymnasialen Ausbildung. Je länger je mehr vergessen Verantwortliche, dass die Wiege unserer Kultur, Wissenschaft und Philosophie bei den Griechen und Römern stand. Ob die europäisch-anglo-amerikanische Nivellierung den Standard der gymnasialen Ausbildung verbessern wird, ist zumindest fraglich. Zu diskutieren wäre auch, was die Tendenz zur globalen, multikulturellen Gleichschaltung für den Stellenwert unserer christlichen, abendländischen Kultur bedeutet.
Tempora mutantur et nos mutamur in illis, ein oft zitierter Satz unseres Preisträgers für ihn wohl sagend: Die Zeiten ändern sich, im Alten beharren zu wollen bedeutet Stillstand. Es gilt sich den neuen Gegebenheiten und Veränderungen in Gesellschaft und Politik zu stellen, stets nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu forschen und sie zum Wohle einer bessern Welt, einer humaneren Gesellschaft einzusetzen. Auftrag ist es uns und Erbe.

Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer
Unser Kulturpreisträger hat sich neben seiner beruflichen und pädagogischen Tätigkeit für die Gemeinschaft auf vielfältige Art und Weise eingesetzt. Er hat in verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft grosse Dienste geleistet. Ich denke an seine 18 Jahre ehrenamtliche Tätigkeit von 1979 bis 1997 als kirchlicher Informator der Diözese Sitten. Im Auftrag von Bischof Schwery hat er diese Stelle auf- und ausgebaut. Seine unzähligen Artikel, Berichterstattungen und Informationen zu kirchlichen und religiösen Themen füllten unzählige Zeitungsspalten. Unter der Rubrik «  Unsere Kirche » erschien jeden Samstag im Walliser Bote und früher auch im Volksfreund eine halbe Seite mit kirchlichen Lokalnachrichten, mit wichtigen Informationen aus dem Bistum oder aus der weiten kirchlichen Welt. Dazu gehörten auch Reportagen zu wichtigen kirchlichen Ereignissen wie zum Beispiel die Kardinalsweihe von Bischof Schwery in Rom, wo Alois Grichting als Berichterstatter waltete und auch auf Radio Vatikan Interviews gab. In seinen Kommentaren war Alois hie und da auch kritisch gegenüber allzu auffälliger Kirchenhierarchie und verkrusteten Strukturen eingestellt, dies aber ohne zu verletzen. Ob er gelegentlich seinen Namenspatron, den Heiligen Aloisius, zum Schmunzeln brachte und auch diesen oder jenen seiner Leser bleibe dahingestellt. Für Recherchierfreudige sei übrigens auf seine langjährige gleichbetitelte WB-Kolumne verwiesen. In dieser ag-typischen Kolumne brachte er in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten manches Thema zur Sprache, repektive zu Papier, oft in ironisch-satirischem Kleid, vielfach lehrend oder belehrend, gelegentlich wohl auch aneckend.

1991 ging Radio Rottu auf Sendung. 7 Jahre lang von 1991 bis 1997 gestaltete, redigierte, moderierte Alois Grichting jeden Sonntag zwei Stunden lang die religiösen Sendungen in diesem neuen Medium. Das Faszinierendste sei für ihn gewesen, eine neue Art von Journalismus zu erfahren und zu erlernen, den Radiojournalismus, von der Redaktion oder Kreation jedes Beitrages bis hin zur technischen Sendung in den Äther.
Willst Du, dass etwas geschieht, übergib es einem beschäftigten Mann. Das dachten 1979 die Mitglieder des Vortragsvereins Brig, als sie Alois zu ihrem Präsidenten wählten. Dieses Jahr wurde dieser Verein 75- jährig.
Vor 14 Tagen feierte er sein Jubiläum. Eine gediegene Festschrift aus den Händen von Alois Grichting gibt Zeugnis von der vielfältigen, interessanten Tätigkeit dieses Vereins. Er vermittelt seinen Mitgliedern und Sympathisanten kulturelle Werte in verschiedenster Art und Weise, sei es durch Vorträge kompetenter Redner oder durch Ausflüge und längere Reisen auf nationalen oder europäischen Kulturwegen. Letzte Woche war der Verein unter seinem nimmer müden Präsidenten auf der Jubiläumsreise unterwegs zu den oberitalienischen Kulturstätten von Cremona bis Venedig. Diese Reise galt auch dem Andenken des unvergesslichen Professors und Rektors Dr. Albert Carlen, der den Vortragsverein ebenfalls über Jahre prägte und auch als Kulturpreisträger des Rottenbundes ein Vorgänger unseres heute Gefeierten war.

Verehrte Damen und Herren,
wer andere ehrt, ehrt sich damit auch selber. Der Rottenbund wurde ihnen von seinem Obmann Dr. Bernard Truffer zu Beginn dieser Feier vorgestellt. Alle 5-10 Jahre verleiht er den Oberwalliser Kulturpreis für eine, Zitat, «bedeutende, kulturelle Leistung, die von einer Person aus dem Oberwallis vollbracht wird oder das Oberwallis betrifft». Dem Rottenbund sei für seine Initiative und seinen Einsatz für die Kulturgüter unserer engeren Heimat ebenfalls gratuliert und gedankt, insbesondere auch für sein Bemühen um den Erhalt unserer deutschen Sprache.
Alois Grichting wurde zum Preisträger erkoren «in Würdigung seiner Verdienste als langjähriger Kulturjournalist und als Verfasser zahlreicher sprachwissenschaftlicher und historischer Veröffentlichungen». Es kann nicht der Sinn dieser Lobrede sein, hier diese Publikationen und Werke aufzuzählen oder aus ihnen zu zitieren. Der Obmann des Rottenbundes, Dr. Bernard Truffer, hat ein Verzeichnis der Werke und Veröffentlichungen des neuen Kulturpreisträgers zusammengestellt. Sie finden es in der Festschrift zum heutigen Tage aufgeführt. Diese Festschrift, die Sie, verehrte Anwesende, als Geschenk mitnehmen können, möge Sie stets daran erinnern, dass das Grosse in der Welt nur geschieht, weil einige mehr tun, als sie müssten. Auch hier in unsern Gemarkungen geschieht Grosses, wird Bleibendes geschaffen und Ererbtes der Nachwelt erhalten, weil einige etwas mehr tun, als sie eigentlich müssten. Ohne Zweifel gehört Alois Grichting dazu, dazu gehören aber auch viele der hier Anwesenden oder mit uns im Geiste Verbundenen.
Eine kulturelle Perle besonderer Art stellt das Walliser Jahrbuch dar. Der Verein für das Walliser Jahrbuch, dessen Präsident Alois Grichting von 1995 – 2003 war, bemüht sich jedes Jahr einen Band dieses Jahrbuches herauszugeben. Er enthält Beiträge zur Geschichte unserer engern Heimat aber auch Geschichten, Sagenumwobenes, Schilderungen von Sitten und Gebräuchen, Lebensbeschreibungen berühmter Walliser und Beiträge zur Kunst und Volkskunst, dazu auch Gereimtes und andere Beiträge bereits verstorbener oder zeitgenössischer Oberwalliser Schriftsteller und Poeten. Zu finden sind im Jahrbuch auch statistische Angaben für verschiedene Bereiche, die Walliser Chronik und der hundertjährige Wetterkalender. Dieser Kalender kann es mit der modernen Meteorologie an Genauigkeit der Vorhersagen wahrscheinlich nicht mehr aufnehmen. Er ist aber immer noch Zeuge davon, wie frühere Generationen sich durch Beobachtungen der Natur, der Umwelt, des Laufs der Gestirne und des Mondes ihre Gedanken und Überlegungen zu Klima, Wind und Wetter machten. Dass man Gemüse, das in den Boden wächst und Frucht trägt nur bei abnehmendem Mond pflanzen sollte und umgekehrt bei aufgehendem war zu unsern und des Gefeierten Jugendzeiten noch ebenso klar, wie man auf das gute Zeichen zum Schneiden der Reben oder der Obstbäume oder die Hausschlachtung im Spätherbst schaute. Seit 2003 ist Alois Grichting Redaktor dieses Walliser Jahrbuches. Eine Riesenarbeit stellte seine Herausgabe des Registerbandes des Walliser Jahrbuches 1932 – 2000 dar. Es ist eine echte Trouvaille, ein Instrument, wohl fast einer Google-Suchmaschine gleichend, für Forscher, Volkskundler, Studierende und Dissertierende im besagten Bereich. Wer sich noch vermehrt und breiter für Wirtschaft, Kultur und Politik der letzten 150 Jahre interessiert, findet das in spannender Art und Weise zusammengefasst in seinem Werk: Oberwallis 1840 – 1990 Wirtschaft, Politik und Kultur, herausgegeben zur 150-Jahrfeier des Walliser Bote. Ebenso interessant ist es, die 208 Titelseiten Walliser Bote durchzublättern, herausgegeben und zusammengestellt ebenfalls von Alois Grichting zum besagten WB-Jubiläum. Beide Werke stellen auch ein Stück Walliser Pressegeschichte dar.

Verehrte Anwesende,
dass Alois Grichting schreiben kann und dies mit einer Leidenschaft und produktiven Art sondergleichen tut, haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten sehr viele Vereine, Organisationen und Gemeinden gemerkt. Gross ist die Anzahl seiner verfassten Jubiläumsschriften und Bücher oder Beiträge. Das Spektrum reicht, ohne eine Wertung oder systematische Einteilung vornehmen zu wollen, von der Darlehenskasse Glis, der Raiffeisenbank Brig-Glis, der Musikgesellschaft Glis über den Oberwalliser Presseverein, die Schützenzunft Glis und den Walliser Kantonalschützenverein, von der Konsumgenossenschaft und dem Turnverein Agarn bis zu 50 Jahre Rotary Club Brig, vom Überblick über die Berichterstattung zum Bergsturz von Randa bis zum Beitrag im Band zur tausendjährigen Eigenstaatlichkeit des Wallis.
Rasch ist dies in einem Satz niedergeschrieben und noch schneller mit Worten ausgedrückt. Dahinter steckt aber eine immense Recherchierarbeit in Archiven und Protokollen besagter Vereine und Organisation. Mühsam sind solche Arbeiten oft wenn Lücken bestehen, Fotos und Statistiken fehlen, stressig dazu, wenn die Jubiläumsfeier naht und die Druckerei Druck macht.
Erfreulicher war für Alois als Bergsteiger, Berg- und Naturfreund wohl die Kreation des prächtigen Bildbandes «Zermatt Bergparadies» erschienen mit viersprachigem Text von Alois Grichting und Fotos von Jürg Weil und Beat Perren 1996 im Rottenverlag. Verleger Ferdinand Mengis bezeichnete dieses Buch als eines der schönsten, an denen er je habe mitwirken dürfen. Die Zermatter erinnerten sich an diese ausgezeichnete Arbeit und gewannen Alois als Autor des Buches 111 Jahre Elektrizitätswerk Zermatt, erschienen ebenfalls im Rottenverlag 2005. Es ist ein höchst interessantes Werk und spiegelt ein wichtiges Kapitel Zermatter Industrie- und Lokalgeschichte wieder. Das Studium der Elektrotechnik mag hier dem Autor behilflich gewesen sein, ebenso für das Buch Scintilla AG und Gemeinde St. Niklaus, im gleichen Jahre im Rottenverlag erschienen. Auch dieses Buch gibt uns einen interessanten Einblick in die Industrie und einen Teil der Dorfgeschichte von St. Niklaus. Der lexikalische Stil beider Bände verrät eine genaue Recherchierarbeit, macht das Lesen leichter und die reichhaltige Bebilderung animiert immer wieder zum Durchblättern dieser Bücher. Man kommt aus dem Staunen und Bewundern dieser abgebildeten und beschrifteten Dokumente kaum mehr heraus und man spürt, was Thukydides meinte, wenn er schrieb: Die Geschichte ist ein Schatz für immer. Auch die Chronik der Gemeinde Gampel 1948-2003 mag ein Beispiel hiefür sein. Es ist ein achthundertseitiges Gemeinschaftswerk eines Autorenteams mit Alois Grichting als Koordinator und Chefredaktor.

Der Rottenverlag, der es in verdankenswerter Weise seit über dreissig Jahren ermöglicht, dass Walliser Autoren Werke veröffentlichen können, kennt unsern heute Gefeierten als Autor oder Coautor verschiedener Bücher bestens. Ich denke an das Kunstbuch: Vispertäler, mit Feder und Farbe, mit Aquarellen von Silvano Armanini. Ich denke, nebst den bereits erwähnten, an die Beiträge in den Kunstbüchern über Hans Loretan, Albert Chavaz, Ludwig Werlen oder an den Katalog zur unvergesslichen Paul-Klee-Ausstellung 1989 in Visp.

Das erfolgreichste Buch von Alois Grichting, bereits ist die dritte Auflage erschienen, und für mich die grösste Fleiss- und Forscherarbeit stellt sein Band « Wallisertitschi Weerter » dar. Ein Werk von unschätzbarem Wert in einer Zeit, da unsere Sprache, unser einmaliger Dialekt Gefahr läuft, verwässert zu werden. Bereits verstehen unsere Kinder und Jugendlichen viele Ausdrücke und Redewendungen unserer Väter und Grossväter nicht mehr. Es ist ein Werk, das Sprachforscher und Historiker kommender Generationen wohl erst in fünfzig oder hundert Jahren so richtig zu schätzen wissen werden.

«Ischi Sprach» lag und liegt unserm Kulturpreisträger aber immer noch am Herzen. Die Rubriken im Walliser Boten zeugen davon, ebenso seine Interpellationen bei den Schulverantwortlichen, unserer Mundart eventuell auch in den Lehrplänen einen wenigstens kleinen Raum zu gewähren. Zur Zeit arbeitet Alois am Walliser Wörterbuch Band 2. Wir freuen uns jetzt schon auf dieses Werk, das sich mit Beschreibungen und Ausdrücken von Sachen und Sachgebieten befassen wird. Die Gegenstände werden auch skizziert und in unserer Mundart beschrieben.

Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer,
Man mag sich fragen, woher nimmt unser Kulturpreisträger die Kraft für sein Schaffen und seine mannigfachen Betätigungen. Nebst der guten Gesundheit, der natürlichen wohl fast genetischen, determinierten Veranlagung hinzu und der Erholung in der Bergwelt dürfte seine Liebe zur Kunst und vor allem zur Musik, ihm Kraft geben und stets ein Auftanken der Seele bedeuten. «Wer die Musik sich erkieset, hat ein himmlisch Gut bekommen» wie Eduard Mörike, von dem dieser Satz stammt, wird Alois beim Geniessen von klassischer Musik Ähnliches empfinden. Bach und Mozart sind seine Lieblingskomponisten. Himmlische Musik bedeutet ihm aber auch die Rezitation eines Goethe Gedichtes oder Textes, sei es in der Natur draussen vor einem rauschenden Wasserfall, sei es bei Überlegungen zum Sinn des Lebens und der Schöpfung. Als Mitglied der Schweizerischen und Deutschen Goethegesellschaft kennt er diesen grossen Dichter und sein Lebenswerk, als hätte er darüber dissertiert.
Um Musik und Kunst noch besser verstehen und interpretieren zu können, besucht er seit fünf Jahren als Hörer regelmässig Vorlesungen und Seminarien der Universität Bern, ohne dabei vor der jungen Garde wissensdurstiger Studenten alt erscheinen zu müssen. Seine profunden Kenntnisse auf diesem Gebiet befähigen ihn zu seinen Berichten und Kommentaren als freier, journalistischer Mitarbeiter der Oberwalliser Zeitung Walliser Bote. Schade mag es für ihn manchmal nur sein, dass er bei den wunderbaren Aufführungen im La Poste, in Ernen, Zermatt, Saas-Fee, hier in diesem Saale oder anderswo mit einem Auge auf sein Notizbuch schielen muss und in Gedanken sich bereits mit seinen Kommentaren beschäftigen dürfte. Doch das ist wohl das Los guter Journalisten und Reporter. Auch bei unser aller Arbeit gilt es, sowohl Pflicht wie auch Kür zu akzeptieren. Übrigens füllen seine von Hand geschriebenen Notiz- und Tagebücher bereits Schränke.
Der Beschreibung unseres Preisträgers, dem Deutungsversuch seines Charakterbildes würde etwas fehlen, würde ich hier nicht noch kurz anführen, dass aus dem ehemaligen Sommerkuhhirten mit allen bereits beschriebenen Lebensstationen noch ein bedeutender Mann, um es neudeutsch zu sagen, ein Governor der weiten, nicht unbedeutenden Rotary Welt geworden ist. Als langjähriger Kulturbeauftragter war Rotarier Alois Grichting bereits im ganzen Distrikt 1990 bekannt. Für diesen Distrikt mit 71 Clubs vorwiegend aus der Westschweiz wurde er als erster Oberwalliser für das Jahr 2002 / 2003 zum Governor gewählt. Conventions in Los Angeles wie Sydney Australien liessen ihn mit der Rotary-Prominenz der weiten Welt in Kontakt kommen. Dass Alois als Governor nicht nur seine rotarischen Aufgaben und Pflichten voll erfüllte, sondern auch ein wichtiger Botschafter der Kultur, der Sitten und Gebräuche unseres Landes insbesondere auch unserer Oberwalliser Heimat wurde, versteht sich von selbst.

Lieber Kulturpreisträger,
Verehrte Anwesende,
Eine arabische Weisheit meint: Wo Frauen geehrt werden, sind die Götter zufrieden. Nicht um die Götter zufrieden zu stellen, sondern einem Bedürfnis entsprechend, das sie wahrscheinlich mit mir teilen, müsste nun auch eine Laudatio auf Frau Marie Grichting folgen. Wenn ein Mann soviel in Beruf und Gesellschaft leisten kann, so sicher auch, weil eine verständnisvolle, liebe Frau und Partnerin das alles mit trägt und dahinter steht.
Dir, liebe Marie, gehört am heutigen Tage, ebenso Ehre und Dank und wohl auch Applaus in nicht minderem Masse.
Die Freude dieses Tages, den Stolz am Lebenswerk ihres Vaters und die Genugtuung der öffentlichen Anerkennung hiefür, gönnen wir auch seinen beiden Söhnen. Mit Philipp sind wir im Geiste verbunden und Thomas, Jurist und Krankenkassen-Manager in leitender Stellung, geniesst mit seiner Frau Manuela hier diese Feierstunde.
Verehrte Anwesende, lieber Alois
für Dein Werk und Dein Schaffen, Deine grossartigen und mannigfachen Leistungen zum Wohl unserer Jugend, zur Erhaltung und Verbreitung unserer kulturellen Werte, unserer Geschichte und Sprache möchte ich Dir herzlich danken. Du hast die Wahl zum Oberwalliser Kulturpreisträger mehr als verdient, hiefür und für vieles mehr sei Dir herzlich gratuliert.

Möge Dir bei guter körperlicher und geistiger Gesundheit Deine Vitalität und Schaffenskraft noch lange erhalten bleiben zum Wohle unserer Gemeinschaft zur vertieften Wertschätzung der Kultur, der Geschichte und Sprache unserer Heimat. Die Freude und das beglückende Erleben dieser Feierstunde gemahne und erinnere uns aber auch daran, was wir an unserer Heimat für ein Geschenk haben, ein Geschenk, das in den Augen vieler gar unsern Herrgott ein bisschen parteiisch erscheinen lässt. Dass man begann war Zufall, wie vieles andere im Leben, darum lasst uns, weil das ein Glücksfall, mit guten Freunden uns umgeben. Diese Freundschaft wünsche ich uns allen, verbunden mit der Hoffnung, dass eines Tages der grosse Wurf gelinge, dass Menschen auf der ganzen Welt einander Freunde sein mögen.

Verehrte Anwesende, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Visp, im September 2006                                                   Dr. Donat Jäger

 

 

Oberwalliser Kulturpreis an Dr. Alois Grichting Fotos

 

 

 

 

Dankesrede: Kulturpreisträger Dr. Alois Grichting

Rittersaal des Stockalperschlosses Brig,28.Oktober 2006, 16 Uhr

Herr Obmann Dr. Bernard Truffer und Mitglieder des Rottenbundes

Sehr geehrte Herren alt Staatsräte

Sehr geehrte Frau Stadtpräsidentin und Nationalrätin

Sehr geehrter Herr Staatkanzler Henri von Roten

Sehr geehrte Kulturpreisträger Dr. Louis Carlen und Dr. Anton Gattlen

Herren Burgermeister

Liebe Freunde

Meine Damen und Herren

Mit tiefer Dankbarkeit darf ich heute den 10. Oberwalliser Kulturpreis entgegen nehmen. Ich tue dies im Bewusstsein, dass es andere Oberwalliser gibt, die diesen Preis ebenso sehr verdienen würden als ich. Ich denke aber auch daran, dass neun illustre Persönlichkeiten des Oberwallis diesen Preis vor mir erhalten haben. In ihre Nachfolge zu treten ist für mich eine grosse Ehre, aber auch eine grosse Verpflichtung.  

Ich gestehe Ihnen, dass ich mich über die durch den 10. Kulturpreis ausgedrückte Bezeugung der Wertschätzung freue. Sie ist für mich ein grosses Ereignis und ich habe dafür zu danken.  

Mein Dank richtet sich zunächst an den Rottenbund, insbesondere an dessen Obmann Dr. Bernard Truffer und den Rottenbund-Vorstand. Obmann Dr. Truffer, alt Staatsarchivar und begnadeter Fachhistoriker, bin ich auch für manche Hilfe bei meinen lokalgeschichtlichen Arbeiten, für die vorzügliche Betreuung der zu diesem heutigen Anlass erschienen Publikation über meine Person und die Organisation dieses Anlasses dankbar. Insbesondere danke ich ihm für die vorzügliche Bearbeitung meines Schriftenverzeichnisses.

Die Damen und Herren des Rottenbundes haben es als sinnvoll erachtet, einen Preisträger zu wählen, dessen Name in keinem Lexikon, sondern nur im Telefonbuch steht, der sich in den vergangenen Jahrzehnten durch einige Veröffentlichungen etwa in den kirchlichen, lokalen, kulturellen und anderen Medien mehr oder weniger angenehm oder unangenehm, nützlich oder sonderbar bemerkbar machte und zeitlebens als Lehrer wirkte. Umso mehr schätze ich das Wohlwollen des Rottenbundes, der als überparteiliche Einrichtung von hoher und anerkannter Autorität die ererbten kulturellen Güter unserer lieben Heimat zu erhalten strebt. Seine Pflege unserer deutschsprachigen Kultur wird in dem Masse wichtiger, in dem das Oberwallis in bevölkerungsstatistischer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht im Kanton zunehmend in Minderheit gerät. Ich möchte beifügen, dass die Bemühungen des Rottenbundes unser aller Unterstützung auch in den kommenden Jahrzehnten bedürfen.

Sehr herzlich danke ich dann Laudator und Kulturrat Dr. Donat Jäger. Er hat zu Ihnen als mein Freund, mein Arzt, mein Bergführer und mein Verwandter gesprochen. Er ist wohl der einzige Arzt im Oberwallis, der im Sommer seinen Patienten auch auf hohen Berge führt und ihm dort den Puls fühlt. Wir alle hatten Gelegenheit, seine sprachliche Meisterschaft und seine Kenntnis der Irrungen und Wirrungen im Leben des heutigen Preisträgers zu würdigen. Es ist nicht alltäglich, dass ein Arzt, der die Leiden vieler Menschen in Not zu lindern hat, auch Gedichte schreibt, für einen mit allerlei unguten Zacken und Ecken behafteten Freund eine Laudatio vorträgt und sie gar in einer Schrift des Rottenbundes veröffentlicht. Dafür, sehr herzlichen Dank, lieber Donat! Dass Dr. Jäger aber in seinen Ausführungen sehr freundschaftlich sehr hoch griff, war auch unübersehbar. Sie, meine Damen und Herren, werden sicher in der Lage sein, die nötigen Abstriche selber vorzunehmen.

Von ganzem Herzen danke ich auch dem Kammerensemble Concertino des Kollegiums Brig und seinem Leiter Professor Paul Locher. Ich darf mich rühmen, Professor Locher einst als einem sehr guten Schüler Mathematik – eine der Musik nicht so ferne Disziplin – gelehrt zu haben. Seine spontane Zusage, mit diesem  „kollegiumseigenen“ Orchester hier mitzuwirken, hat mich ausserordentlich gefreut. Es hat diesem Anlass der Preisverleihung durch die Musik, die Sprache des Herzens ist, auch besondere Würde gegeben. Danke!

Aufrichtigen Dank schulde ich sodann der Gemeinde Brig-Glis, die uns heute diesen herrlichen Saal zur Verfügung stellte und uns nach der Feier einen Aperitif spenden wird. Ich absolvierte in dieser Gemeinde ein achtjähriges Gymnasium und bin nun mit meiner Familie seit 42 Jahren hier ansässig. Ich konnte hier Freunde finden und Gemeinschaft erleben. Dafür bin ich sehr dankbar.

Ich gedenke aber in dieser Stunde auch dankbar meiner verstorbenen Eltern Agnes und Emil Grichting-Hagnauer, die nicht mehr unter uns weilen können. Sie gaben mir Unverlierbares mit. Danken möchte ich auch meiner Familie, meiner Frau, meinem Sohn, meinen Geschwistern und Verwandten für ihre Zuwendung, Unterstützung und Anwesenheit. Ich fühle mich auch durch anwesende Behördenmitglieder, Jahrgängerinnen, Freunde und Bekannte aus Agarn geehrt. Sie stammen aus jener Gemeinde, in deren Gemarkungen ich meine Jugendzeit verleben durfte. Es war dies eine harte, aber schöne und unvergessliche Zeit. Und das Dorf zwischen dem Emsbach und dem Meretschibach ist mir immer noch Heimat im wahren Sinn des Wortes.

Vor allem bin ich aber all jenen Personen verbunden, die meine innere und meine geistige Entwicklung begleitet haben. Neben meinen Eltern waren dies die Lehrpersonen in der Primarschule Agarn, die Professoren des Kollegiums  Brig und die akademischen Lehrer und weisen Professoren der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und der Universitäten Zürich und Freiburg. Sie versuchten mit mehr oder weniger Erfolg, mir genaues Denken beizubringen und meinen Durst nach Wissen anzuregen. Dies und die immerwährende Forderung nach klarer Unterscheidung waren für mich von äusserster Wichtigkeit.

Sie alle gaben mir das mit, was ich zur Meisterung des Lebens - auch zahlreicher schwieriger Situationen -  und im Beruf als Mathematiklehrer brauchte. Die Beschäftigung als Lehrer wurde für mich immer wunderbarer. Ich begriff zunehmend, was Platon in grossen Lettern über den Eingang seiner Akademie in Athen schreiben liess: „Me ageometretos eisito!“ was bedeutet: „Keiner, der der Mathematik unkundig ist, trete hier ein!“ Es scheint, wie die Griechen behaupteten, dass sogar Gott Geometrie treibt: „Ho theos geometrei“: Der liebe Gott treibt Geometrie. Mathematik empfand ich in diesem weitesten Sinne als Voraussetzung jeden logischen Denkens und als Abbildung faszinierender Harmonie. Mathematik ist auch die Sprache, in der die Physik und Astronomie uns die Wunder der natürlichen Schöpfung und des Kosmos beschreiben und so erst verständlich machen.

Dank schulde ich unter den vielen Professoren des Kollegiums Brig meinem Musikprofessor Bruno  Brunner, der uns singen lehrte, auf kratzenden Shellak-Schallplatten Beethovens Romanze F-Dur vorspielte und uns so den Weg zur klassischen Musik öffnete.

Besonders verbunden für seinen prägenden Einfluss bin ich aber unserem unvergesslichen Deutsch- und Kunstgeschichte-Lehrer, Rektor und Domherrn Professor Dr. Albert Carlen. Noch in der Kollegiumszeit, als er unser Präfekt war, erläuterte er uns die Schönheit der deutschen Sprache und die Werke der Kunst.

Er ermunterte mich auch, in der Zeitung zu schreiben. Unter seiner Anleitung schrieb ich am 26. Oktober 1952, also vor 54 Jahren, meinen ersten wertenden Zeitungsbericht. Die von mir um 1950/51 im Walliser Boten entfesselte Schreibschlacht zum Unterricht in Latein und Griechisch hatte mir zuvor bereits das Prickelnde des Zeitungsschreibens und die Gefahren solchen Tuns eröffnet. Ich darf bemerken, dass ich in all den vielen Jahren über die Zeitung Walliser Bote, deren Geschichte ich verfasste, und über den Rotten Verlag dem Hause Mengis verbunden geblieben bin. Beinahe alles, was ich schrieb, ging durch die Druckmaschinen dieses Unternehmens.

Nun, als Dr. Albert Carlen mich an jenem 26. Oktober 1952 aufforderte, die Würdigung eines Vortrages, den ein deutscher Professor im Vortragsverein Brig über das Thema „Das Bild des Menschen in der Kunst“ gehalten hatte, zu versuchen, wurde bei mir eine geistige Weiche gestellt. Allerdings verbesserte Albert Carlen dann meinen ersten Text. Ich bemühte mich in dem kurzen Artikel auch eifrig, den Forderungen Carlens an die Sprache zu genügen. Sie gipfelten im berühmten Begriffpaar „Wahrheit und Klarheit“, die mir noch heute als fast unerreichbare, aber immer noch gültige Ideale erscheinen. Sprachliche Schaumschlägerei und Schwulst lagen Dr. Carlen fern. Anhand zahlreicher Gedichte und Prosastücke der Literatur zeigte er uns, was ein sprachliches Kunstwerk ist.

Auf verschiedenen Reisen im Wallis und vor allem in Italien machte er uns dann mit grossem Wissen und mit charismatischer Lehrgabe mit den Kunstschätzen bekannt, die uns aus den verschiedenen Epochen künstlerischer Arbeit, besonders auch aus der Antike, hinterlassen sind. Ich hatte das Glück, Dr. Carlen auch noch in seinen späteren Jahren im Vortragsverein Brig als einem freundschaftlichen Mentor und väterlichen Freund zu begegnen. Er hat mir Prägendes mitgegeben.

Ich nutze die Gelegenheit, um auch meinem Freund Universitätsprofessor Dr. Louis Carlen, auch er wie Dr. Anton Gattlen Träger des Oberwalliser Kulturpreises und überdies langjähriger Präsident des Vortragsvereins, für seine freundschaftliche Hilfe und Anregung in vielen Belangen zu danken. Wir verehren in Professor Dr. Louis Carlen zu Recht eine im Kulturbereich unseres Landes führende Persönlichkeit ausserordentlichen Formates.     

Sehr verehrte Damen und Herren, die verantwortlichen Gremien des Rottenbundes haben mir heute den Oberwalliser Kulturpreis verliehen, weil ich, wenn ich recht verstehe, neben meinem Lehrberuf im weitesten Sinne für unsere Heimat,  das deutschsprachige Wallis, und für unsere deutschsprachige Kultur tätig sein durfte. Zu diesen Bemühungen gehörten das Verfassen von Büchern zur Lokalgeschichte, das Schreiben von Zeitungsartikeln zu kulturellen Ereignissen, das Sammeln und Veröffentlichen unseres Wortschatzes, aber auch die lebenslange Lehrtätigkeit an unserer „Alma mater Brigensis“, dem Kollegium Brig. Im Grunde genommen ist dies alles Medienarbeit, Vermittlung von Aspekten der Welt, in der wir leben. Kunst und Wissenschaft versuchen, diese Welt zu erklären. Und ich trage natürlich Eulen nach Athen, wenn ich Ihnen sage, dass diese uns umgebende politische, wirtschaftliche und gesellschaftlich-kulturelle Wirklichkeit uns allen als ein gewaltiges, aber auch sehr rätselhaftes Gebilde erscheint. Die Medien führen uns täglich vor Augen, wie komplex, wie grausam, wie krank diese Wirklichkeit auch geworden ist.

Sicher ist es in dieser Lage Aufgabe der Medien, die oft furchtbaren Ereignisse auf unserem Globus kritisch zu begleiten, das Geschehen differenziert zu werten und durch Kritik dem Besseren in dieser Welt zum Durchbruch zu verhelfen. Ich bin mir aber bewusst, dass dies ein hoher Anspruch ist, dem bei weitem nicht alle Medien zu genügen vermögen. Unzählige Druckerzeugnisse und das Fernsehen verbreiten Gewalt, Frivolität, geistigen Minimalismus – um nicht zu sagen Leere. Durch solche als „Kommunikation“ betitelte Beeinflussung der Menschen schreitet die Vermassung voran. Über all das hinaus hat in unserer westlichen Gesellschaft eine Ökonomisierung aller Bereiche, sogar der Schule, stattgefunden. Ihr steht die Verelendung und weiterhin die Ausbeutung der Völker der Dritten Welt, aber auch die Zerstörung der Umwelt, gegenüber.

In einem solchen Rahmen – und hier lege ich ein Bekenntnis ab – erschienen mir stets die Pflege und die Vermittlung von menschlichen, tragenden Werten als vordergründigste Aufgabe all meiner publizistischen Anstrengungen, auch jener auf dem Gebiete der kirchlichen Information.  Es geht heute darum, den Menschen zu helfen, in ihrem je eigenen Dasein einen gangbaren Sinn und Weg durch eine zunehmend fraglichere Welt zu finden und so in den unvermeidlichen Problemen des Lebens bestehen zu können.

Jemand hat alle unsere Tätigkeiten als „Kultur“ bezeichnet. Daraus habe ich mir als Arbeitsfeld die Bereiche der Religion, der Kunst, der klassischen Musik, der Literatur, der Naturbeobachtung und der Wissenschaft ausgewählt. Es sind dies Felder, in denen die Menschheit über besonders geniale Leistungen verfügt. Was Homer, die Autoren der Bibel, Dante, Shakespeare, Michelangelo, Leonardo, Bach, Mozart, Goethe, Schiller, Kopernikus, Newton und Albert Einstein geschaffen haben, stellt noch heute alles in den Schatten, was unsere technokratischen Bildungsmanager uns als der Weisheit letzten Schluss auftischen.

Ich überzeuge mich täglich mehr, dass durch die Beschäftigung mit den grossen  kulturellen Errungenschaften der Menschheit den gestressten und leidenden Menschen Hoffnung zuströmt, eine Hoffnung, die immer unentbehrlicher wird. Ich wehre mich deshalb gegen die kaltschnäuzige Art, die Beschäftigung mit den Meisterwerken der klassischen Musik, des klassischen Theaters, der Literatur, der Geschichtsschreibung und der Wissenschaft verächtlich als „verstaubtes Bildungsbürgertum“ in die Ecke zu stellen. Die heutige in vielen Aspekten billige Massenkultur hat den grossen, während Jahrtausenden geschaffenen, die Jahrtausende überdauernden und während Jahrtausenden geprüften Leistungen der Menschheit wenig Nennenswertes entgegenzusetzen. Und auf die Werke der grossen Meister hat jedermann Anspruch. Dies rechtfertigt auch ihre Berücksichtigung in den Medien und die Bemühungen aller Menschen, die an die Gültigkeit einer Skala geistiger, kultureller und moralischer Werte glauben. Damit möchte ich nicht sagen, dass auch die heute lebende Generation von Künstlern aller Art sich nicht bemühe, in ihren Werken die komplexe Wirklichkeit zu verstehen. Was wir aber noch nicht völlig abschätzen können, ist die Nachhaltigkeit ihres Schaffens. Was aus der heutigen Zeit  die Jahrhunderte überdauern wird: darüber werden spätere Zeiten urteilen.

So bietet sich das kulturelle und gesellschaftliche Umfeld als ein schwer zu durchschauender Garten. Die von mir darin geleistete Arbeit war und ist bescheiden. Man könnte ein Urteil über meine Bemühungen auf das beschränken, was der Dichter Properz vor 2000 Jahren sagte. Er meinte: „In grossen Dingen genügt es, nur schon gewollt zu haben“ (In magnis et voluisse sat est). Ich glaube, angesichts der vielfältigen und sehr problemgeladenen Wirklichkeit, wie ich sie gerade umschrieb und sehe, wenigstens diesen guten Willen gehabt zu haben.

Heute bleibt mir in meinem Alter das, was Goethe am Schluss seiner Lebensbeschreibung „Dichtung und Wahrheit“ meint. Ich zitiere: „Wie  von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unseres Schicksals leichtem Wagen durch und uns bleibt nichts, als mutig gefasst die Zügel festzuhalten und bald rechts, bald links, vom Steine hier, vom Sturze da, die Räder wegzulenken“.

So will auch ich versuchen, die noch verbleibende Zeit vorsichtig zu nutzen und die „Pferde der Zeit“ sinnvoll zu lenken.

Dass Sie, sehr verehrte Damen und Herren, mich heute durch Ihre Anwesenheit ehrten, gibt mir Kraft und Mut dazu. Ich danke dem Rottenbund nochmals für den mir verliehenen

10. Oberwalliser Kulturpreis und Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit.

Danke!

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